Kein Konsens, kein Vertrag: Warum ein Plastikabkommen vorerst nicht erreicht wurde
20.08.2025

UN-Verhandlungen in Genf 2025 zu einem Instrument gegen Plastikverschmutzung und Müll im Meer
Es wird vorerst kein internationales, rechtsverbindliches Instrument gegen Plastikverschmutzung geben. Trotz nächtelanger Verhandlungen und einem deutlichen Überziehen des Zeitplans, gelang es den Delegierten nicht, eine gemeinsame Grundlage für ein Abkommen zu finden. Die Differenzen waren zu groß, die Themen zu komplex, zu viel musste in zu kurzer Zeit verhandelt werden.
Nachdem in den offiziellen Arbeitsgruppen kaum Fortschritte erzielt worden waren, fanden die letzten beiden Verhandlungstage hinter verschlossenen Türen und ohne die Anwesenheit von Beobachter:innen statt: In einem Versuch, festgefahrene Positionen aufzubrechen, führte der Vorsitzende des Intergovernmental Negotiating Committee (INC), Botschafter Luis Vayas Valdivieso, bilaterale Gespräche und Konsultationen mit regionalen Gruppen wie den pazifischen Inselstaaten sowie der Gruppe der lateinamerikanischen und karibischen Länder. Seine Mühen wurden nicht belohnt.
Obwohl sich die informellen Verhandlungen bis spät in die Nacht zogen, blieb die Stimmung unter den Beobachter:innen überraschend positiv. Wohl, weil sie es als Zeichen für mögliche Annäherungen zwischen den Staaten deuteten.
Doch der überarbeitete Vertragsentwurf, den Botschafter Vayas nur wenige Stunden vor der finalen Plenarsitzung am Morgen des 15. August 2025 vorlegte, unterschied sich nur unwesentlich von dem Dokument, das zwei Tage zuvor von einer klaren Mehrheit der Staaten abgelehnt worden war. Zwar fanden die Themen Plastikproduktion und Gesundheit, wie von vielen Ländern gefordert, nun mehr Beachtung, allerdings mangelte es weiterhin an verbindlichen Reduktionszielen für Plastikprodukte, -abfälle und -verschmutzung sowie globalen Produktionsobergrenzen für Kunststoffe.
Der Fokus des Vertragsentwurfs lag, wie gehabt, auf Abfallmanagement und der Beseitigung von Plastikmüll in der (Meeres)umwelt. Verbindlichkeiten wurden ausgeklammert, gerade bei der Plastikproduktion, aber auch beim Produktdesign und einem Finanzierungsmechanismus. Was einer Mehrheit von Ländern aus dem Globalen Süden, der EU und Ozeanien nicht weit genug ging, überschritt für viele ölproduzierende Länder rote Linien, da deren volkswirtschaftliche Interessen eng mit der Rohstoffextraktion für die Kunststoffproduktion verwoben sind.
Hinderlich: Zeitdruck und Struktur des Verhandlungsprozesses
Die weit auseinander liegenden Positionen der Delegationen waren sicherlich ein zentraler Grund, warum vorerst keine Einigung erreicht werden konnte. Doch auch Zeitdruck und die Struktur des Verhandlungsprozesses spielten entscheidende Rollen. Der kurze Zeitrahmen von nur drei Jahren ließ kaum Spielraum für eine schrittweise Annäherung oder für strukturierte Verfahren zur Lösung grundlegender Meinungsverschiedenheiten etwa zu Produktionsbegrenzung oder zum Geltungsbereich des Abkommens. Ohne ein gemeinsames Verständnis über Ziel und Zweck des Vertrags fiel es den Verhandlungsparteien schwer, Prioritäten zu setzen und Debatten zu strukturieren.
Gleichzeitig war es nicht möglich, grundsätzliche Differenzen zurückzustellen, um Fortschritte dort zu erzielen, wo Konsens in Reichweite lag. Diese Prozessmängel resultierten vermutlich aus einer Unterschätzung der Komplexität der Regulierung von Plastikverschmutzung. Sie verdeutlichen ein grundlegendes Spannungsverhältnis zwischen einem Handlungsdruck angesichts der Plastikkrise und der Zeit, der es bedarf, um in multilateralen Verhandlungen Vertrauen zu schaffen und Fortschritt zu erzielen. Ohne einen klar strukturierten Prozess und effektive Verfahren zur Konfliktlösung versuchten die Delegierten zu viel gleichzeitig zu verhandeln. Dabei brachten sie grundsätzliche und gegensätzliche Positionen, etwa zur Regulierung des gesamten Lebenszyklus von Plastik oder zum Schutz nationaler Handelsinteressen, immer wieder in unterschiedliche Absätze des Vertragsentwurfs ein.

Das Ergebnis: ein aufgeblähter und fragmentierter Text
Verhandlungen zu multilateralen Umweltabkommen können sich über Jahrzehnte erstrecken, bis nach zahlreichen iterativen Kompromissen schließlich gegenseitiges Vertrauen und Wohlwollen die Grundlage für die Auseinandersetzung mit den grundlegenden Differenzen bilden. Der auf Konsens basierende Entscheidungsmechanismus macht diesen Prozess noch schwieriger, nicht nur bei den Verhandlungen zu einem Plastikabkommen. So können einzelne Staaten, ambitionierte und von einer klaren Mehrheit getragene Vorschläge blockieren. Diese strukturelle Schwäche, die Beobachter:innen bereits seit Beginn der Verhandlungen 2022 kritisieren, erweist sich ebenso in internationalen Verhandlungen zur Klimapolitik als wiederkehrendes Hindernis.
Diese strukturellen Defizite werfen grundlegende Fragen zur Zukunft des INC-Prozesses auf. Ob und wie die Verhandlungen weitergeführt werden, ist unklar. Eine weitere Verhandlungsrunde scheint denkbar. Doch für einen erfolgreichen Abschluss wären sowohl prozedurale Reformen als auch strukturelle Innovationen notwendig. Eine stärkere Ausrichtung der Verhandlungen an klar definierten Zwischenzielen und Prioritäten – statt an einem starren Zeitplan – könnte helfen, Vertrauen aufzubauen, Debatten besser zu strukturieren und schrittweise Fortschritte zu ermöglichen. Damit ließen sich zumindest einige der oben genannten Herausforderungen bewältigen. Denn multilaterale Zusammenarbeit ist nach wie vor dringend erforderlich, um globale Herausforderungen dieser Größenordnung zu bewältigen. Ob der multilaterale Prozess die strukturellen Schranken des Konsensprinzips tatsächlich durchbrechen kann, bleibt hingegen ungewiss.
Gewiss ist nur: Die Plastikverschmutzung von Ökosystemen – einschließlich der Meeresumwelt – wächst weiter. Sie wartet nicht auf ein Abkommen.