Headline: Bundesländer als Motor einer bürgernahen Energiewende?

Werden die Bundesländer zunehmend zum Motor einer bürgernahen Energiewende? Diese Frage stand anlässlich der Umsetzung des neuen Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetzes in Mecklenburg-Vorpommern und der landesweit einmaligen Leitlinien für „faire Windenenergie“  der Thüringer Energie- und GreenTech-Agentur (ThEGA) im Vordergrund eines Workshops Ende Juni am IASS in Potsdam. Die ThEGA zertifiziert seit Ende 2015 „Partner für faire Windenergie Thüringen“, die sich einem bestimmten Verhaltenskodex anhand von fünf Leitlinien verpflichten. In Mecklenburg-Vorpommern gilt seit Juni 2016  eine gesetzlich vorgeschriebene Beteiligungsquote von 20 Prozent an einer Projektgesellschaft oder den Erträgen für Bürger und Gemeinden im 5-Kilometer Umkreis neuer Windparks. Circa 30 Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen sowie Zivilgesellschaft und Wirtschaft diskutierten gemeinsam mit Wissenschaftlern des IASS über Fragen wie: Welche Chancen bieten die neuen Ansätze und welche Bedingungen sind nötig, um ihre Potenziale auszuschöpfen? Inwiefern können die Ansätze aus Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen als Modell für weitere Bundesländer dienen? Ziehen Bund, Länder und Gemeinden hinsichtlich der Rahmenbedingungen für eine bürgernahe Energiewende  an einem Strang?

Das Beteiligungsgesetz sollte um weitere Maßnahmen ergänzt werden

Die Diskussion zeigte, dass beide Ansätze, insbesondere die „Qualitätssicherung für faire Windprojekte“ durch die Beratungs- und Informationsleistung der Thüringer „Servicestelle Wind“, hohes Potenzial haben, Kommunen zu entlasten. Schon jetzt habe sich durch die Einführung der Ansätze der Umgang zwischen Projektierern, Bürgern sowie Kommunen schrittweise hin zu mehr Beteiligungsangeboten an die lokale Bevölkerung und einem vertrauensvolleren Prozess „auf Augenhöhe“ bewegt, berichteten Teilnehmer. Trotzdem wurde deutlich, dass sowohl bei dem Beteiligungsgesetz als auch bei den Leitlinien Detailfragen der Umsetzung zu klären sind.

Im Verlauf der Diskussion zeichnete sich ab, dass ein Beteiligungsgesetz voraussichtlich um weitere Maßnahmen zu ergänzen ist. Das Beteiligungsgesetz könne zwar eine gerechtere Verteilung von Einnahmen aus Windprojekten und die regionale Wertschöpfung befördern. Es stärke jedoch selbst kaum Möglichkeiten für aktives Engagement und zur Mitentscheidung in einem Projekt für Bürger und Kommunen. Die frühzeitige Einbindung, Beratung, Information und Prozessbegleitung des Vorhabensträgers und der Betroffenen durch eine neutrale Stelle als Vermittler und Anlaufstelle für alle Akteure - neben der wirtschaftlichen Beteiligung - sollte Bürger und Gemeinden stärken, ihre Möglichkeiten zu nutzen. Diese Funktion könnte zum Beispiel eine Landesenergieagentur einnehmen, so wie es in Thüringen mit der „Servicestelle Windenergie“ der ThEGA der Fall ist, und wie es in Mecklenburg-Vorpommern mit dem Aufbau einer  Landesenergie- und Klimaschutzagentur vorgesehen ist. Im Ergebnis könnte in Mecklenburg-Vorpommern eine Kombination beider Ansätze, nämlich verpflichtende Beteiligung und Begleitung sowie Beratung durch eine Landeseinrichtung entstehen.

Zugeständnisse an Bürgerenergiegesellschaften und Bundesländer im EEG 2017

Abschließend diskutierten die Teilnehmer unter Anwesenheit eines Vertreters der SPD-Bundestagsfraktion, wie die Beteiligung von Bürgern und Gemeinden vor dem Hintergrund des Mehrebenensystems der Energiewendepolitik gestaltet werden kann. Im Fokus der Diskussion standen vor allem zwei Aspekte, mit Blick auf die zu diesem Zeitpunkt noch laufende Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) 2017: Erstens wurde erörtert, welche Rahmenbedingungen notwendig sind, um kleinen Akteuren trotz erhöhter Marktzugangsbarrieren durch Ausschreibungen in der Windkraft an Land weiterhin eine aktive Gestaltung der Energiewende zu ermöglichen und gleichzeitig auch diejenigen am Nutzen von Windkraftanlagen zu beteiligen, die sich nicht mit eigenen Investitionen einbringen wollen oder können.

Zentrale Punkte aus der Diskussion finden sich im  EEG 2017 wieder, das Bundestag und Bundesrat am 8. Juli verabschiedet haben. Mit der Reform hat der Gesetzgeber zunächst  anerkannt, dass Ausschreibungen bei Windenergieanlagen an Land den Erhalt der Akteursvielfalt erschweren können. Dementsprechend hat er „Bürgerenergiegesellschaften“ definiert und Ausnahmeregelungen eingeführt. So können Bürgerenergiegesellschaften zunächst ohne Bundesimmissionsschutzgenehmigung im Rahmen einer sogenannten „non competitive bid“ am Ausschreibungsverfahren teilzunehmen und haben 24 Monate Zeit diese nachzureichen. Das bedeutet, dass Bürgerenergiegesellschaften unabhängig von der Höhe ihres Angebotes den Preis des letzt-bezuschlagten Angebots - also den Höchstpreis - der jeweiligen Auktionsrunde erhalten. De facto entspricht das einer Zuschlagsgarantie, da diese Akteure mit sehr niedrigen Angeboten bieten können, jedoch den höchsten Preis einer jeweiligen Runde bekommen. Damit kann argumentiert werden, dass sich das Zuschlagsrisiko für Bürgerenergiegesellschaften formal verringert, ein gewisses Preisrisiko jedoch bestehen bleibt, da der höchste Preis nicht im Voraus bekannt ist. Für die Entstehung von Bürgerenergiegesellschaften spielen jedoch vor allem die Risikowahrnehmung der Beteiligten und lokale Faktoren wie Akteursstrukturen eine erhebliche Rolle. Ob die Ausnahmeregelungen entsprechend risikoverringernd wahrgenommen werden und welcher administrative Aufwand mit der Teilnahme an einer Ausschreibung verbunden ist, bleibt abzuwarten.

Zusätzlich wurden Gemeinden - ähnlich wie im Beteiligungsgesetz - auch explizit als Adressaten in das EEG 2017 aufgenommen. Bürgerenergiegesellschaften müssen  der Standortgemeinde oder alternativ einem voll gemeindeeigenen Versorger 10% der Anteile anbieten. Ziel ist es, damit auch Bürger, die sich nicht aktiv mit eigenem Kapital einbringen wollen oder können, mittelbar im Rahmen der Gemeinwohlorientierung kommunaler Akteure zu beteiligen.

Zweitens war auch die Koordination von Bund und Ländern sowie die wechselseitige Bedeutung des EEG 2017 mit landeseigenen Ansätzen wie in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen Gegenstand der Diskussion. Beide Bundesländer schließen nicht aus, aufgrund der Ausschreibungen in ihren Ansätzen nachsteuern zu müssen, sollte es zum Beispiel zu Wettbewerbsnachteilen in Ausschreibungen gegenüber Projekten aus anderen Bundesländern  kommen. Vor allem die Schweriner Landesregierung hat sich jedoch bewusst entschieden, das Beteiligungsgesetz vor der EEG-Reform im Jahr 2016 zu verabschieden, damit eine wirtschaftliche Beteiligung als gesetzlicher Regelfall gesichert ist. Tatsächlich kann das EEG 2017 als politisches Zugeständnis des Bunds für landeseigene Maßnahmen gewertet werden: Im parlamentarischen Verfahren konnte die SPD-Fraktion eine Länder-Regelung (§ 36g, Absatz 6)  „durchsetzen“ (Plenarprotokoll 18/184, Anlage 2), die den Bundesländern zugesteht „[…] weitergehende  Regelungen  zur  Bürgerbeteiligung  und  zur  Steigerung  der Akzeptanz für den Bau von neuen Anlagen [zu] erlassen“.

Werden andere Bundesländer nachziehen?

Offen bleibt, ob bald andere Bundesländer den Beispielen aus Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen folgen könnten. Die anwesenden Vertreter aus sechs Landesministerien und Energieagenturen waren sich einig, dass bei dieser Frage regional stark differenziert werden müsse. Viele Faktoren, wie die sozio-kulturellen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen (z.B. Kommunalverfassung) sowie der Entwicklungsstand von bestehenden Beteiligungsmodellen in den Bundesländern, unterscheiden sich. So käme ein Beteiligungsgesetz für das Bundesland Nordrhein-Westfalen nicht infrage, da bereits viele Bürgerwindparks existieren. Hier bietet die Energieagentur.NRW bereits Unterstützung für Bürgerenergieakteure und Genossenschaften. Das zeigt, dass viele Bundesländer bereits aktiv sind und eine Reihe verschiedener Maßnahmen entsprechend der jeweiligen Bedingungen verfolgen. Spannend bleiben weiterhin die Entwicklungen im Bundesland Brandenburg, wo der Landeswirtschaftsminister vergangene Woche nach einem gescheiterten Volksbegehren für restriktivere Planungsbedingungen forderte,  eine Lösung zu finden, die Anwohner von Windkraftanlagen finanziell am Ertrag zu beteiligen. Als eine übergreifende Handlungsmöglichkeit identifizierten die Teilnehmer eine bessere Vernetzung der Landeseinrichtungen, um voneinander lernen zu können.

Insgesamt zeigte der Workshop die Notwendigkeit auf, dass notwendiges Transformations- und Handlungswissen für eine bürgernahe Energiewende nur gemeinsam von betroffenen Akteuren aus verschiedenen Ebenen der Politik und Verwaltung, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft erarbeitet werden kann. Das IASS wird die Ergebnisse und offenen Fragen aus dem Workshop aufgreifen, um einen Beitrag zu den konkreten Handlungsmöglichkeiten für Bundesländer zu leisten.

Grafik: IASS/Sabine Zentek

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