Headline: Reduzierung der Methanemissionen in der Erdgasindustrie: Forscher diskutieren Lösungen

Jüngste Studien in den Vereinigten Staaten haben gezeigt, dass die Methanfreisetzung bei Gasverarbeitungsanlagen um ein Mehrfaches höher sein könnte als zuvor angenommen. (c) istock/westphalia
Jüngste Studien in den Vereinigten Staaten haben gezeigt, dass die Methanfreisetzung bei Gasverarbeitungsanlagen um ein Mehrfaches höher sein könnte als zuvor angenommen. (c) istock/westphalia

In den letzten Jahren haben in den Vereinigten Staaten zahlreiche Luftmessungsreihen in Schiefergasfeldern ein Schlaglicht auf ein bislang wenig bekanntes Umweltthema geworfen: die Emission von Methan und anderer Luftschadstoffe (flüchtige organische Verbindungen) aus der Erdgasinfrastruktur infolge von Lecks oder Entlüftung. Die Ergebnisse von Studien zeigen aber nicht nur, dass die Emissionen oft höher sind als zuvor geschätzt, sondern auch, dass sie nicht auf Schiefergasbohrungen beschränkt sind. Vielmehr kommt es in vielen Stadien der Erdgasförderungskette dazu, von den Brunnenbohrungen über die Produktion und Verarbeitung bis zum Transport und zur Distribution. Das genaue weltweite Ausmaß dieses Phänomens ist noch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, jedoch liegt die Menge der weltweiten Methanemissionen bei Gas- (und Öl-)-Aktivitäten vorsichtigen Schätzungen zufolge bei 100 Milliarden Kubikmeter pro Jahr – das entspricht 3 Prozent der jährlichen Erdgasproduktion auf der Welt.

Jüngste Studien in den Vereinigten Staaten haben gezeigt, dass die Methanfreisetzung bei Gasverarbeitungsanlagen um ein Mehrfaches höher sein könnte als zuvor angenommen. (c) istock/westphalia
Jüngste Studien in den Vereinigten Staaten haben gezeigt, dass die Methanfreisetzung bei Gasverarbeitungsanlagen um ein Mehrfaches höher sein könnte als zuvor angenommen. (c) istock/westphalia

Erdgas ist nicht immer „sauberer“ als Kohle

Dies war Thema eines Workshops im IASS am 1. und 2. September 2015, dessen Intention vor allem darin bestand, einzuschätzen, wie hoch die Methanemissionen sein würden, wenn sich auch in Europa eine Schiefergasindustrie entwickeln würde. Das übergreifende Ziel lautete, die Fundamente für ein IASS-Projekt zu schaffen, das sich auf der Grundlage der Kenntnisse über die (konventionellen und unkonventionellen) Reserven in Europa mit den Ober- und Untergrenzen für gegenwärtige und zukünftige Emissionen befassen und regulierende und technische Schadensminderungsstrategien entwerfen sollte.

Erdgas wird of als „saubererer“ fossiler Brennstoff dargestellt, da es bei der Verbrennung nur etwa halb soviel CO2-Emissionen freisetzt wie Kohle. Doch aufgrund der Erkenntnisse über Methanemissionen in der Erdgaskette muss diese Feststellung angezweifelt werden. Methan ist ein Treibhausgas, das unmittelbar zur Erderwärmung beiträgt. Im Gegensatz zu CO2 hat es in der Atmosphäre eine sehr kurze Lebensdauer (durchschnittlich 12 Jahre), sein Treibhauspotenzial (Global Warming Potential, GWP) ist jedoch viel höher: bis zu 28 mal höher als CO2 in einer Zeitspanne von 100 Jahren und 84 mal höher in einem Zeitraum von 20 Jahren. Wenn die Methan-Freisetzungen zu hoch werden, belastet die Verwendung von Erdgas sogar das Klima mehr als Kohle.

Darüber hinaus führen Aktivitäten im Zusammenhang mit Erdgas auch zur Freisetzung anderer Luftschadstoffe wie beispielsweise flüchtiger organischer Verbindungen (VOCs). Diese Stoffe stellen ein Risiko für den Menschen dar, weil sie zum Smog in Bodennähe und zur Luftverschmutzung (zum Beispiel Benzol) wie auch zur photochemischen Bildung von Sekundärschadstoffen wie Ozon beitragen.

Das Fehlen genauer Daten über Methanfreisetzungen erschwert die Suche nach Lösungen

Die Verminderung dieser Emissionen ist daher sowohl im Hinblick auf den Klimawandel als auch die menschliche Gesundheit von entscheidender Bedeutung. Doch die Suche nach geeigneten Lösungen wird durch eine Reihe von Problemen erschwert, die ihren Grund in mangelnden Kenntnissen über das Phänomen haben.

Allem voran stellt der Mangel an umfassenden, wissenschaftlich fundierten Daten über Orte und Ausmaß der Emissionen bislang ein Hindernis für die Bewusstmachung und für Gegenmaßnahmen dar. Die Grundrate, von der viele Länder bei ihren Emissionsberichten – und für entsprechende Vorschriften – ausgehen, basieren auf Bestandsaufnahmemethoden, die statistisch fehlerhaft oder veraltet sind. Die jüngsten Messungen in Öl- und Gasfeldern der Vereinigten Staaten beispielsweise haben gezeigt, dass in einigen Segmenten der Kette zehnmal mehr Emissionen freigesetzt werden, als zuvor angenommen. „Die Zahlen sind nicht sicher, aber wahrscheinlich höher als gemeldet“, meinte ein Teilnehmer des Workshops, und wegen dieser Datenlücken gebe es für manche Emissionsquellen „praktisch keine Beschränkungen". In Europa ist der Mangel an genauen Informationen sogar noch krasser. Dieses Problem muss mit einer Kombination von Messungen vor Ort und fundierteren Bestandsschätzungen angegangen werden. Das IASS plant, letzteres voranzubringen, indem es realistische Szenarien für Bohraktivitäten erarbeitet und daraus wahrscheinliche Emissionsumfänge in Europa und die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Luftqualität ableitet.

Ein weiteres Hemmnis bei der Entwicklung von Strategien der Emissionsverminderung ist die Verschiedenartigkeit der Orte, der Natur und der Ausmaße der Emissionen. Ein Teilnehmer, ein Atmosphären-Wissenschaftler, erklärte, diese Emissionen seien von vielen verschiedenen Faktoren abhängig: der Zusammensetzung des Gases und den verwendeten chemischen Zusätzen, der Art des Einsatzes, der Steuerung und Wartung, der jeweiligen Praxis des Betreibers, der Arbeitskultur und so weiter. Kurz, es gibt eine komplexe Mischung von Emissionsursachen und –arten.

Einfache, kostengünstige Lösungen für Methanemissionen sind machbar

Glücklicherweise haben wir auch gute Gründe für die Annahme, dass wir dem Problem nicht machtlos gegenüberstehen. Erstens gibt es einen wachsenden Konsens, dass es zwar entlang der ganzen Kette zu Emissionen kommen mag, es aber eine kleine Zahl von „Super-Emittenten“ gibt. Dem IASS-Forscher Lorenzo Cremonese zufolge „zeigen jüngere Studienergebnisse, dass 20 Prozent der Emissionsquellen für 80 Prozent der Emissionen verantwortlich sind“. Das bedeutet, dass einige gezielte Maßnahmen eine beachtliche Wirkung haben könnten. Die Teilnehmer waren sich einig, dass ein großer Teil der Emission durch leicht umzusetzende und nicht allzu kostspielige Lösungen unterbunden werden kann. Manchmal ist es bloß eine Frage der richtigen Geräte ohne zusätzliche Kosten oder die Verwendung geschlossener anstatt offener Behälter zum Auffangen des Rückflusses. Darüber hinaus haben Öl- und Gasunternehmen häufig ein ureigenes Interesse, ungewollte Lecks zu beseitigen, so dass freiwillige Bottom-up-Anstrengungen zu Ergebnissen führen können, die die Wirkung bindender Vorschriften ergänzen.

In den letzten zwei bis drei Jahren haben die Vereinigten Staaten diese mehrschichtige Herangehensweise nach und nach umgesetzt. Und kürzlich hat Präsident Obama das Ziel verkündet, die Methanemissionen bei Öl- und Gasaktivitäten bis 2025 im Vergleich zu 2012 um 40 bis 45 Prozent zu senken. In Europa, wo die Möglichkeit existiert, einen Regelungsrahmen zu schaffen, noch bevor überhaupt eine Schiefergasindustrie entsteht, fehlt es noch an öffentlichem Bewusstsein zu diesem Thema. Wie im Workshop betont wurde, stehen bei den meisten Debatten über Schiefergas und Fracking andere ökologische Bedenken wie etwa die Gefahr der Wasserverschmutzung im Mittelpunkt. Konventionelle Gasaktivitäten und die damit verbundenen Methanemissionen sind bei diesen Diskussionen im Großen und Ganzen kein Thema. Die Teilnehmer waren sich darin einig, dass es von höchster Wichtigkeit ist, die Wahrnehmung hinsichtlich der Bedeutung der Methanemissionen für das Klima zu verändern, vor allem, weil Maßnahmen zu ihrer drastischen Reduzierung praktisch möglich sind und in kurzer Zeit eine große, heilsame Wirkung auf das Klima hätten. Sie beklagten das Fehlen eines effektiven Narrativs um dieses lange vernachlässigte Thema und erklärten, dies sei entscheidend für eine Bewusstseinsveränderung hinsichtlich der Bedeutung von Methanemissionen für das Klima. Tatsächlich entspricht der 20 Jahre anhaltende Einfluss des durch die Industrie emittierten Erdgases auf das Klima etwa dem von 40 Prozent der gesamten CO2-Emissionen aus der gesamten Verbrennung von Kohle weltweit. Bei dem Workshop bemerkte Roland Kupers, Berater des Environmental Defense Fund, dass wir bei einem Problem erst dann etwas unternehmen können, wenn wir von ihm wissen. Die „gute Nachrichtet lautet, dass dieses Problem zu bewältigen ist: Die Lösungen sind bekannt, und die meisten sind kosteneffektiv“. So gesehen, könnte die ganze Sache mit den Methanemissionen eine unerwartete Chance sein.

08.09.2015