Overline: Fellowship
Headline: Multimodal – verortet zwischen Wissenschaft, Design und Kunst

Michaela Büsse ist Fellow am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) mit dem Blick auf soziomaterielle Transformationen im Kontext von spekulativem Urbanismus, der Energiewende und des sich ändernden Klimas. Im Interview erläutert sie ihre Forschungsidee, visionäre Energy-Islands zu untersuchen - und was auf der Berlin Science Week bei ihrer Veranstaltung „Building (with) Nature“ am 3. November 2023 passiert.

Michaela Büsse
RIFS Fellow Michaela Büsse Konstantin Mitrokhov

Könnten Sie uns bitte erklären, wie Sie forschen und warum in dieser Art und Weise?

Michaela Büsse: Meine Forschung ist interdisziplinär zwischen den Geistes- und Sozialwissenschaften sowie dem Design verortet. Da ich ursprünglich Medien und Kommunikation studiert habe, danach Design und Urbanistik, schließlich meine Doktorarbeit in der Kulturanthropologie verfasst habe, verwende ich einen Mix aus klassischen sozialwissenschaftlichen Methoden wie Interviews, Medienanalyse oder Feldforschung, arbeite aber auch künstlerisch, indem ich Filme und andere visuelle „Outputs“ produziere. Tatsächlich ordne ich mich zwischen künstlerischer Forschung und wissenschaftlicher Praxis ein. Ich möchte mit meinen Arbeiten eine breitere Zielgruppe ansprechen und auf meine Forschungsthemen aufmerksam machen: Neben der wissenschaftlichen Community auf der einen Seite auch die Allgemeinheit auf der anderen. Ich mache das in dieser Weise, weil multimodales Arbeiten ebenfalls eine Form der Wissensproduktion darstellt, die Text in einer vergleichbaren Form nicht leisten kann. Ich vermag mit Sound und Bild ganz anders Wissen zu generieren und zu teilen. Durch die ästhetische Erfahrung lassen sich andere Bezüge und Verbindungen herstellen zwischen Orten, Menschen und Begebenheiten, die so nicht ersichtlich sind, zum Beispiel Umweltveränderungen. Es ist möglich, eine Verbindung entstehen zu lassen, die über das rationale Begreifen hinausgeht, vor allem, wenn jemand nicht direkt von etwas betroffen ist.

Was können Sie uns über das Projekt erzählen, welches Sie während des Fellowship am RIFS verfolgen wollen?

M. B.: Das Projekt dreht sich um ‚Energy Islands‘ – das sind Visionen von Infrastrukturen, die in der Ost- und Nordsee entstehen sollen. Da werden Erneuerbare-Energie-Infrastrukturen an einem Ort gebündelt – also Solar- und Windenergie, gegebenenfalls in der Zukunft auch Wellenenergie. Die Energie, die dort gewonnen wird, wird auch dort vorgehalten und zugleich umgewandelt in grünen Wasserstoff. Quasi eine Komplettlösung für die Energiewende. Momentan ist das Zukunftsmusik, weil es technisch noch nicht umsetzbar ist, eventuell nie sein wird. Mich interessiert nun, wie diese Visionen von der Energiewende geschaffen werden und sich dann auch materialisieren. Wer erschafft und steuert diese Visionen, wo und wie nehmen sie Gestalt an? Welche Interessen stehen hinter diesen technologischen Entwicklungen und welche politischen und ökonomischen Prozesse setzen diese in Gang? Da dies alles auf unseren Meeren stattfindet, bekommen Nord- und Ostsee eine neue Rolle zugeschrieben, als potenzielle Energieträger, die wir für uns nutzbar machen können.

Erneuerbare Energieinfrastrukturen werden aktuell hauptsächlich an Land errichtet. Sie sind dort wesentlich präsenter, stoßen häufiger auf Widerstand und sind daher mit mehr Konfliktpotential beladen und werden stärker verhandelt. Wenn dieser Prozess auf die Meere ausgelagert wird, verschiebt sich dieses Konfliktpotential und damit auch unser Verhältnis zu diesen Gewässern. Wenn das Meer hauptsächlich als Infrastruktur wahrgenommen wird, was passiert dann mit symbolischen und kulturellen Zugängen zu Nord- und Ostsee? In welchem Zusammenhang stehen die Energy Islands mit der Idee vom Meer als Lebensraum, als Projektionsfläche, als Archiv der Vergangenheit? Für mich ist spannend, diesen Moment zu untersuchen, wo es von der Vision zur Planung und Entstehung eines solchen Energy-Islands kommt und welche Verschiebungen oder Überschreibungen dabei entstehen.

Wie gehen Sie bei dem Forschungsprojekt vor?

M. B.: Ich schaue mir drei Pilotprojekte an: in Deutschland, Dänemark und den Niederlanden - teilweise sind das Ölbohrinseln, die für die Erzeugung erneuerbarer Energien umgewandelt werden, teilweise sollen komplett neue Inseln entstehen. Wobei das weniger Inseln sind als „Hubs“, also Bündelungen diverser Infrastrukturen an einem Ort. Spannend ist dabei für mich zu erforschen, welche Methoden in der Entwicklung und Planung zum Einsatz kommen, welche Technologien im Spiel sind, welche Hoffnungen damit verbunden sind und welche Akteure dahinterstehen. Ich untersuche also Pläne und Werbematerial zu den Projekten, schaue mir die Förderstruktur und Vorgehensweise an und interviewe verschiedene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Ingenieurinnen und Ingenieure, die an den Projekten beteiligt sind. Was in diesen Pilotprojekten entschieden wird, könnte vorwegnehmen, wie die Zukunft der Energiewende aussieht, von wem sie gestaltet wird und von wem nicht.

Was erwartet das Publikum bei Ihrem Beitrag auf der diesjährigen Berlin Science Week?

M. B.:   Wir zeigen den Film „Building with Nature“, den ich zwischen 2021-2023 entwickelt habe und der sich um ein Küstenaufschüttungsprojekt in den Niederlanden dreht.  Der Film adressiert die entscheidende Rolle von Sand in der Gestaltung von Umwelt, insbesondere in der Gestaltung von Küstenregionen. Im Film geht es um ein groß angelegtes Experiment, das seit über zehn Jahren läuft, den so genannten Zandmotor. Vor der Küste von Den Haag wurde eine künstliche Halbinsel mit Sand aufgeschüttet, die sich über 20 Jahre quasi auflösen soll, indem der erodierende Sand die Strände nördlich von Den Haag nach und nach wieder befüllt. Der Film zeigt, wie dieses Experiment entstanden ist, wie die Ingenieure Zandmotor anlegt haben, und was seither alles Unerwartetes passiert ist. Denn was der Film zugleich zeigt, ist, dass beim Modellieren solcher Experimente vieles nicht vorhersehbar ist und Projekte, in denen der Mensch mit der Natur interagiert, nur begrenzt steuerbar sind. Das diskutieren wir außerdem vertieft in der an den Film anschließenden Diskussion. In welchem Zusammenhang stehen mathematische Modelle und physische Realität? Und was lehrt uns der Film über die Grundannahme Natur gestalten zu können? Zugleich reden wir über Film als Methode in der Wissenschaft – was kann Film transportieren, das Text nicht kann?