Headline: Wird 2015 zum Jahr der Nachhaltigkeit? IASS-Experten diskutieren bei Jahreskonferenz des Nachhaltigkeitsrates

SDGs

Alexander Müller und R. Andreas Kraemer bei der Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung. (c) RNE
Alexander Müller und R. Andreas Kraemer bei der Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung. (c) RNE

2015 ist ein entscheidendes Jahr für die nachhaltige Entwicklung. Im September wollen die Vereinten Nationen in New York erstmals globale Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) verabschieden, im Dezember soll bei der UN-Klimakonferenz in Paris eine neue Vereinbarung zum Klimaschutz entstehen. Dadurch stellen sich auch neue Anforderungen an die deutsche Nachhaltigkeitspolitik. Bei der 15. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) am 3. Juni betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die nationale Nachhaltigkeitsstrategie vor dem Hintergrund der SDGs nachgebessert werden müsse: „Weltweit sind wir von einem nachhaltigen Leben, Wirtschaften und Arbeiten noch weit entfernt – an einigen Stellen auch in Deutschland; das muss man ganz offen sagen.“ Die SDGs haben eine universelle Gültigkeit und stellen einen Rahmen für alle Länder dar. Für die Industriestaaten bedeuten die SDGs, dass sie einen anderen Weg als bisher gehen müssen: Es sind innovative nachhaltige Technologien gefragt, um das Einleiten eines Paradigmenwechsels hin zu globaler nachhaltiger Entwicklung zu ermöglichen.

Alexander Müller und R. Andreas Kraemer bei der Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung. (c) RNE
Alexander Müller und R. Andreas Kraemer bei der Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung. (c) RNE

Das IASS erforscht, wie dieser Paradigmenwechsel in Hinblick auf eine erfolgreiche Post-2015-Entwicklungsagenda aussehen kann, und bringt seine Erkenntnisse unter anderem mit verschiedenen Schriften und Veranstaltungen in den politischen Prozess ein. In einem Forum bei der Jahreskonferenz sprach IASS Senior Fellow R. Andreas Kraemer mit Moderator Alexander Müller, Mitglied des RNE und kommissarischer IASS-Generalsekretär, über das Thema „Nachhaltigkeitsstrategie post-2015: Aufgaben und Chancen für Deutschland“. In diesem Thema, sagte Müller, steckten drei umfassende Fragestellungen: „Die erste Frage ist: Was wollen wir strategisch in und für Deutschland bewirken? Wenn wir den Satz der Bundeskanzlerin ernst nehmen, dass wir einen Paradigmenwechsel brauchen, müssen wir den Paradigmenwechsel auch hier in diesem Land durchführen. Zweitens: Was wollen wir in Deutschland für die Welt bewirken? Dabei geht es zum Beispiel um die Entwicklung von Technologien und Systemen, wie etwa der in Deutschlang erfolgreich implementierten Energiewende, die auch in anderen Ländern das Umsteuern in Richtung Nachhaltigkeit ermöglicht. Und drittens: Was wollen wir durch Deutschland in der Welt ermöglichen? Auch in der Entwicklungszusammenarbeit und den Außenbeziehungen muss Nachhaltigkeit thematisiert werden.“

Kraemer: Würde und Gerechtigkeit sind Voraussetzungen für nachhaltige Entwicklung

Die Aufgaben sind vielfältig, doch inwieweit kann Deutschland bei der nachhaltigen Entwicklung weltweit eine Vorbildfunktion einnehmen? Diese Frage stellte R. Andreas Kraemer in den Mittelpunkt seines Vortrags. Für die SDGs seien sechs Themen zentral: Menschen, Würde, Wohlstand, Gerechtigkeit, Partnerschaft und der Planet. Derzeit liefen vor allem Würde und Gerechtigkeit Gefahr, zu wenig berücksichtigt zu werden, sagte Kraemer. In Deutschland selbst sei die Würde im Grundgesetz verankert, andere Staaten hätten jedoch noch nicht erkannt, dass Angriffe auf die Menschenwürde – etwa das willkürliche Vorenthalten von Bildungschancen für Mädchen – nachhaltige Entwicklung behindern. Die Achtung der Menschenwürde und auch die Gerechtigkeit im Sinne von Rechtsstaatlichkeit seien in Deutschland historisch eine Grundlage des Wohlstands gewesen, betonte Kraemer. Auch aus diesem Grund sollte Deutschland sich für diese Themen engagieren: „Wir müssen klar formulieren, dass diese Errungenschaften Voraussetzungen für nachhaltige Entwicklung sind.“

R. Andreas Kraemer illustrierte seinen Vortrag mit einer UN-Infografik zu den wichtigsten Themenbereichen der SDGs. (c) UN
R. Andreas Kraemer illustrierte seinen Vortrag mit einer UN-Infografik zu den wichtigsten Themenbereichen der SDGs. (c) UN

Bei den Diskussionen über die SDGs solle Deutschland deutlich machen, dass der Weg zur Nachhaltigkeit nicht mit immensen Kosten verbunden sein muss. Die Energiewende sei ein gutes Beispiel dafür, sagte Kraemer: „Deutschland subventioniert erneuerbare Energien seit 2004 nicht mehr. Die Kosten tragen vor allem die kleineren Stromverbraucher, und der Staat verdient dran.“ Der Staat habe also die Finanzströme so organisiert, dass seine anfänglichen Ausgaben zu rentablen Investitionen wurden. „Insgesamt ist der Nutzen der Energiewende schon heute deutlich höher als ihre Kosten“, so Kraemer.

Breite Beteiligung, wirkungsvolle Kommunikation, bessere Governance-Strategien

An den Vortrag schloss sich eine Diskussion an, deren Ergebnisse Alexander Müller in sieben Punkten zusammenfasste:

  • Wenn ein Paradigmenwechsel gelingen soll, muss auch Deutschland seine Nachhaltigkeitsstrategie weiterentwickeln und in wesentlichen Punkten verändern.
  • Damit diese gesellschaftliche Veränderung hin zur Nachhaltigkeit umgesetzt werden kann, ist ein partizipativer Prozess unabdingbar. Nachhaltigkeit muss zum handlungsleitenden Prinzip werden. Die Verankerung von Nachhaltigkeit im Grundgesetz könnte eine Möglichkeit sein, einen integrierten Politikansatz zu garantieren.
  • Deutschland sollte sich um die Umsetzung aller SDGs kümmern und damit auch als Vorbild für andere Länder fungieren.
  • Eine starke Kommunikationsstrategie muss Teil der Entwicklung der neuen Nachhaltigkeitsstrategie und ihrer Umsetzung sein.
  • Die Entwicklungszusammenarbeit muss auf die Prinzipien der Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Der Prozess muss auf Augenhöhe stattfinden, er darf nicht von den Geldgebern definiert oder dominiert werden.
  • Die vorgelegten SDGs sind nicht integriert, es wurde nicht abgeschätzt, wie viele natürliche Ressourcen benötigt werden. Deswegen muss die Implementierung mit einem strategischen Monitoring- und Review-Verfahren verbunden werden, im dem auch sichergestellt wird, dass die Umsetzung aller SDGs innerhalb der planetaren Grenzen erfolgt.
  • In Fragen der Governance müssen neue Wege eingeschlagen werden, dabei müssen Partizipation und Menschenrechte bei der Umsetzung der SDGs im Mittelpunkt stehen.

08.06.2015