Headline: Die Vorteile einer gemeinsamen EU-Umweltpolitik für Großbritannien: Gespräch mit R. Andreas Kraemer

Im britischen Unterhaus findet heute (2. Dezember 2015) eine Anhörung über die europäische Umweltpolitik statt. Ziel ist eine Einschätzung, in welchem Maß die Umweltziele und die Umweltpolitik der EU zur Lösung von Umweltfragen im Vereinigten Königreich beigetragen haben. Hiermit sollen Informationen in die bevorstehende Debatte über das Referendum zur EU-Mitgliedschaft Ende 2017 eingebracht werden, zu der sich die Regierung nach einer Neuverhandlung der Mitgliedschaftsbedingungen für Großbritannien verpflichtet hat.

IASS-Senior-Fellow R. Andreas Kraemer – Gründer und langzeitiger Managing-Direktor des Ecologic Institut – hat eine Eingabe für diese Anhörung eingereicht. In unserem Interview gibt er uns Hintergrundinformationen zu der Anhörung und erläutert seine Ratschläge an die britischen Politiker.

R. Andreas Kraemer
R. Andreas Kraemer

Im britischen Unterhaus findet eine Anhörung über die europäische Umweltpolitik statt. Worum geht es dabei?

Die Briten haben ihre Zweifel an einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union nicht wirklich aufgegeben; die Mitgliedschaft ist nach wie vor umstritten. Ein Teil des Problems besteht darin, dass wie in anderen Ländern populistische Politiker und die Medien für alles, was schlecht ist, „Brüssel“ die Schuld geben. Andererseits heimsen britische Politiker wie ihre Kollegen in anderen Ländern gern die Lorbeeren für Erfolge ein, auch wenn diese auf Entscheidungen und die Koordinierung von Maßnahmen auf europäischer Ebene zurückgehen. Vor diesem Hintergrund möchte sich das Unterhaus einen objektiven Eindruck davon verschaffen, ob die EU-Politik für Großbritannien gut ist oder nicht.

Die Anhörung wird vom Environmental Audit Committee abgehalten. Was ist das?

Das ist ungewöhnlich. Normalerweise ist es die Aufgabe von Ausschüssen in Parlamenten, die Arbeit eines bestimmten Ministeriums zu überprüfen: ein Minister, ein Ministerium, ein parlamentarischer Überwachungsausschuss. Beim Environmental Audit Committee handelt es sich insofern um etwas anderes, da es eine Kontrollfunktion über die gesamte Regierung ausübt: Es kann alles untersuchen, was für den Schutz der Umwelt oder die Nutzung natürlicher Ressourcen von Belang ist. Das Committee kann sich bei seinen eingehenden Untersuchungen auf das National Audit Office stützen.

Was steht bei dieser Fragestunde über die EU-Umweltpolitik im Mittelpunkt?

In erster Linie zwei Punkte: Der eine ist, Klarheit über die Ziele und Absichten der europäischen Politik zu gewinnen sowie darüber, ob sich darin widerspiegelt, was den Menschen in Großbritannien am Herzen liegt. Der andere ist, zu erfahren, welche Auswirkungen Politik und Gesetzgebung der EU auf die britische Umweltpolitik sowie die behördliche und wirtschaftliche Praxis haben. Wie bei solchen Anhörungen üblich, stellt der Ausschuss bestimmte Fragen, die die Experten nach Belieben interpretieren und beantworten. Da ich bei den Anhörungen im Unterhaus nicht dabei sein kann, habe ich meine Antworten in schriftlicher Form vorgelegt, und sie wurden auf der Website des Ausschusses veröffentlicht.

Was sind Ihre zentralen Anliegen?

Ich schicke meinen Antworten auf die einzelnen Fragen zwei Anmerkungen voraus und schließe sie mit einer weiteren ab. Zunächst erinnere ich die britischen Parlamentarier daran, dass ihr Land einen großen Einfluss auf die Umweltstrategien der EU hat. Diese Tatsache wird in der britischen Debatte oft ausgeklammert oder sogar bestritten. Zweitens weise ich darauf hin, dass viele Bürger und Wähler Großbritanniens Kontinentaleuropa bereisen, dort ihren Urlaub verbringen, beruflich dort zu tun haben oder sogar dort leben. Die Vorteile der europäischen Umweltpolitik für diese Menschen sollten bei der Anhörung Berücksichtigung finden, nicht nur die Auswirkungen dieser Politik für Bürger und Wirtschaft in Großbritannien. Ich schließe meine Stellungnahme, indem ich in Erinnerung rufe, dass die europäische Integration ein wichtiges Projekt ist, um Frieden und Wohlstand zu sichern; sie nahm ihren Anfang nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Ziel, zu gewährleisten, dass die Länder Europas keinen weiteren Krieg mehr gegeneinander führen. Daran zu erinnern, ist auch deshalb besonders wichtig, weil Russland erst im letzten Jahr in einen Teil eines anderen europäischen Landes einmarschiert ist und ihn annektiert hat. Jetzt ist nicht die rechte Zeit, in Europa nur Erbsen zu zählen.

Bei den Fragen in dieser Anhörung geht es um Kosten und Nutzen der EU-Umweltpolitik, und sie findet zu einem Zeitpunkt statt, da Großbritannien ein Referendum über die weitere Mitgliedschaft in der EU vorbereitet. Welcher Zusammenhang besteht genau zwischen der Anhörung und dem Referendum?

Der aktuelle Kontext für die Anhörung ist die zunehmend polarisierte Debatte über einen „Brexit“, wie der mögliche Ausstieg Großbritanniens aus der EU genannt wird. Sie könnte zu einer Beruhigung der Stimmung beitragen, indem sie Fakten gegen die zahllosen kursierenden falschen Behauptungen und gegen die von einem bedeutenden Teil der offen EU-feindlichen britischen Medien geschürten Ängste ins Feld führt. Die britische Wirtschaft steht der EU größtenteils positiv gegenüber, da sie sowohl Chancen bietet als auch allgemein stabilere wirtschaftliche Rahmenbedingungen, als das Land selbst es könnte. Ich sage in meiner Stellungnahme ausdrücklich: Die Umweltpolitik der EU hat Großbritannien dazu gezwungen, seine Umwelt-Infrastruktur zu modernisieren, etwa die Wasser- und Sanitärversorgung in Städten und die Abfallentsorgung, was britischen Unternehmen zum Wachstum verhalf und sie selbst zu Exporteuren von Produkten und Dienstleistungen werden ließ. Britische Beraterfirmen dominieren bereits Teile des Marktes in Brüssel, und das wiederum verschafft der britischen Regulierungsphilosophie einen starken Einfluss in Europa. Bei einem Brexit würde Großbritannien sowohl diesen Einfluss als auch wirtschaftliche Chancen einbüßen.

Was ist angesichts des heute beginnenden Klimagipfels in Paris Ihre Meinung zur Rolle Großbritanniens in der EU und bei den UN-Klimaverhandlungen?

Ganz allgemein gesagt, hat Großbritannien durch die Verwendung der englischen Sprache bei internationalen Verhandlungen einen natürlichen Vorteil. Die Delegationen der britischen Regierung und die britischen Experten haben die EU-Positionen stärker geprägt als die jedes anderen Landes. Das hat Großbritannien bedeutend mehr Einfluss verschafft, als es ohne die Einbindung in die EU gehabt hätte, zugleich hat es der EU zu mehr Erfolg bei internationalen Verhandlungen verholfen, als sie ohne Großbritannien gehabt hätte. Die Klimaverhandlungen sind dafür ein Beispiel. Großbritannien hat bei der Etablierung der Klimadiplomatie als eigenständiger Disziplin eine führende Rolle übernommen. Damit konnte erstens Großbritannien seinen Einfluss in der EU und bei internationalen Verhandlungen vergrößern, und zweitens konnten die EU und andere Mitgliedstaaten bei den Klimaverhandlungen besser ihre evidenzbasierten Positionen einbringen und eine gemeinsame Verhandlungsstrategie vertreten. Wenn die Klimaverhandlungen in Paris erfolgreich sind, ist das zum Teil ein Verdienst der Koordination innerhalb der EU. Außerdem hat die EU der Welt ein Beispiel gegeben, indem sie sich selbst einen tragfähigen Rahmen für den Abbau von Treibhausgasemissionen gegeben, die Energieeffizienz verbessert und die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien ausgeweitet hat. Auch die Schaffung und Stärkung europäischer Gas- und Stromnetze sowie Innovationen bei den intelligenten Stromnetztechnologien sind hilfreich. Die EU ist vielleicht kein vollkommenes Gebilde – davon ist sie weit entfernt -, aber besser, als wenn jeder Mitgliedstaat für sich allein agieren würde.

Headerbild: istock/dem10

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