Headline: Intelligente Energiesysteme und die Dekarbonisierung des Energiesektors – Workshop untersucht drängende Fragen

Intelligente Energiesysteme – das verborgene Rückgrat lebenswerter Städte. © Anders Dyrelund, Rambøll Energy
Intelligente Energiesysteme – das verborgene Rückgrat lebenswerter Städte. © Anders Dyrelund, Rambøll Energy

Was sind „intelligente Energiesysteme“ und wie können sie dazu beitragen, den Energiesektor effizienter und nachhaltiger zu gestalten? Mit einem wachsenden Anteil erneuerbarer Energiequellen wächst die Notwendigkeit, die Flexibilität der sogenannten „intelligenten“ Systeme zu erhöhen, damit sie leichter in die Strominfrastruktur integriert werden können und die Verbindung zwischen den Sektoren Energie, Wärme und Verkehr möglich wird. Das gilt ganz besonders für den städtischen Raum, wo energietechnische Infrastrukturanlagen in enger Nachbarschaft angesiedelt sind. Am 24. und 25. Februar 2016 kamen Experten aus Forschung, Versorgungsunternehmen, Industrie und Wissenschaft zu einem Workshop am IASS zusammen, um Konzepte, Technologien und Pilotprojekte für intelligente Energiesysteme zu diskutieren.

Im Mittelpunkt der Debatte stand die Herausforderung, einen integrierten Ansatz zu realisieren, der alle denkbaren Energieträger einbezieht und Synergien maximiert, um ein zuverlässiges, zu 100 Prozent erneuerbares Energiesystem möglich zu machen. In der Diskussion zeigte sich, dass der Prozess der Entwicklung von Energiesystemen im Lichte mehrerer drängender Fragen bewertet und abgestimmt werden muss: Wie sieht das Optimum aus, das wir erreichen wollen, wenn wir ein nachhaltiges und intelligentes Energiesystem entwickeln? Welche Bedürfnisse haben die Menschen und wie können wir sie erfüllen und zugleich kosteneffiziente Systeme schaffen?

Intelligente Energiesysteme – das verborgene Rückgrat lebenswerter Städte. © Anders Dyrelund, Rambøll Energy
Intelligente Energiesysteme – das verborgene Rückgrat lebenswerter Städte. © Anders Dyrelund, Rambøll Energy

Bei einem intelligenten Energiesystem geht es nicht nur um Strom

Henrik Lund von der Universität Aalborg (Dänemark) betonte, um eine vollkommen nachhaltige Energieversorgung zu erreichen, dürften wir nicht ausschließlich die Stromerzeugung aus Erneuerbaren im Blick haben. Letztere sollte als Teil eines intelligenten Energiesystems gesehen werden, zu dem auch Wärme, Industrie, Treibstoff und Verkehr gehören und das den Weg zu einfacheren und besseren Lösungen öffnet. Energiespeicherlösungen für Wärme, Gas- und Flüssigbrennstoff sind erheblich preisgünstiger als Stromspeicher, die somit für die Integration von Windenergie, um nur ein Beispiel zu nennen, nicht unbedingt eine realistische Lösung darstellen.

Unter diesem Aspekt können intelligente Fernwärme- und Fernkältekonzepte für Städte ganz erheblich zur Reduzierung der fossilen Energieerzeugung beitragen. Das betonte auch Anders Dyrelund von Rambøll Energy, der die Entwicklung des dänischen nationalen Wärmeplans vorangetrieben hat. Dänemark konnte den Ölverbrauch im Wärmesektor zwischen 1972 und 2009 um 90 Prozent senken. Allerdings ist das dänische Energiesystem aufgrund seiner Besonderheiten nur begrenzt auf andere Länder übertragbar.

Die Kopplung von Energiesektoren muss verstärkt werden

Im Workshop herrschte Einigkeit, dass die Kopplung aller Energiesektoren vorangetrieben werden muss. In dieser Hinsicht stellen Wärmepumpen eine Schlüsseltechnologie dar, die es ermöglicht, durch die Nutzung von Strom aus Erneuerbaren zum Heizen eine drastisch verbesserte CO2-Bilanz zu erreichen. David Pearson von Star Renewable Energy stellte ein hocheffizientes Wärmepumpenprojekt vor, das im norwegischen Drammen Fernwärme für 60.000 Einwohner sowie die ansässigen Firmen liefert. Dabei wird Wasser aus den eisigen Tiefen eines nahegelegenen Fjords genutzt, um das Wasser im System auf 90 Grad zu erhitzen. 75 Prozent der 14 MW Heizleistung des Systems werden durch eine saubere, lokale Energiequelle erzeugt – in diesem Fall Meerwasser mit einer Temperatur von 8-10 Grad Celsius. Power-to-Gas-Anwendungen – ebenfalls eine vielversprechende sektorverbindende Technologie, bei der Strom in Gasbrennstoff umgewandelt wird – stagnieren wegen der erheblichen Investitionen, die für ihre Realisierung notwendig wären; bisher existieren in Europa nur wenige Prototypen, die meisten davon in Deutschland. Wie Harald Lange von Siemens ausführte, ist diese Technologie zurzeit im Energiesystem wirtschaftlich nicht rentabel, aber das könnte sich ändern, wenn sie mit dem Verkehrssektor gekoppelt wird.

Die Rolle von Blockheizkraftwerken (BHKW) erläuterte Juan Villeda von General Electric, der ein neues Konzept für ein Hybridkraftwerk präsentierte, das die Firma entwickelt, um ihr Portfolio dem sich wandelnden Energiesystem und der zunehmenden Dezentralisierung der Energieerzeugung anzupassen. Das System umfasst ein BHKW, das eine kleine Gasturbine mit Photovoltaik, einer innovativen Batterielösung und Wärmespeicherung kombiniert. Das Kraftwerk liefert den Großteil der Energie für das General-Electric-Werk in Berlin-Marienfelde und bedeutet eine grundsätzliche Abkehr von zentralisierten Energieerzeugungslösungen. BHKW können auch als Brückentechnologie gelten, um kurzfristig die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, und tragen überdies dazu bei, Stromnetzengpässe zu vermeiden. Aber, wie einige Teilnehmer anmerkten, letztlich müssen wir ganz auf fossile Brennstoffe verzichten.

Intelligente und nachhaltige Städte – Oasen für die Wohlhabenden?

Bryan Hannegan vom National Renewable Energy Laboratory (NREL), der als Chefberater für Präsident George W. Bush tätig war, bot Einblicke in das Programm für Energiesystemintegration (ESI) des US-Energieministeriums. Das Programm soll wegweisend für die Instandsetzung der amerikanischen Strominfrastruktur werden. Hannegan betonte, die Zusammenarbeit verschiedener Akteure sei der Schlüssel für eine zuverlässige, erfolgreiche und wirtschaftlich tragbare Integration erneuerbarer Energien in das Stromnetz. Außerdem hob er hervor, man müsse auf internationaler Ebene kooperieren, um Synergieeffekte zu maximieren, und betonte, wie ertragreich der Austausch von Wissen und Erfahrungen mit Best Practices sei.

Konzepte für nachhaltige Städte wurden von Gerhard Stryi-Hipp am Beispiel von Frankfurt am Main und von Jiangcheng Yu von der Tianjin Electric Power Company vorgestellt, der das Projekt Sino-Singapore Tianjin Eco-city präsentierte. Galina Churkina vom IASS beleuchtete die potenziellen Gleichheitsfragen, die diese intelligenten, nachhaltigen Städte aufwerfen, weil das Leben dort für die meisten Menschen unerschwinglich bleiben wird. Zurzeit liegen jedoch noch kaum Erfahrungen zur wissenschaftlichen Aufarbeitung vor, denn die meisten nachhaltigen Städte sind noch im Planungs- und Entwicklungsstadium.

Gute Kommunikation ist maßgeblich für soziale Akzeptanz

Wie die Diskussionen im Workshop zeigten, können intelligente Energiesysteme unterschiedlich definiert werden, angefangen mit einer flexibel reagierenden Betriebsführung und der Berücksichtigung künftiger Entwicklungen bis hin zu Systemen, die Ressourceneffizienz, Synergien und der Minimierung von Umweltfolgen den Vorrang einräumen. Was diese Systeme gemeinsam haben, das hoben die Teilnehmer hervor, ist ihre Fähigkeit, Treibhausgasemissionen zu vermindern. Gerade aufgrund dieser Eigenschaft können sie zum maßgeblichen Instrument bei den Bemühungen um breiten Zugang zu Energie werden. In den Debatten wurde jedoch betont, dass intelligente Energielösungen funktionierende Geschäftsmodelle benötigen, wenn sie Wirklichkeit werden sollen. Das Schreckgespenst der „stranded assets“ – gescheiterte Investitionen in Technologien und Konzepte, die zu Verlusten für Investoren führen und Hindernisse für weitere Investitionsmaßnahmen in 10 oder 20 Jahren darstellen können – wurde ebenfalls im Workshop diskutiert. Bemühungen, die gesellschaftliche Akzeptanz für intelligente Energiesysteme zu erhöhen, da waren sich die Teilnehmer einig, sollten sich darauf konzentrieren, die Wahlmöglichkeiten ins Bewusstsein zu rücken und dafür zu sorgen, dass Verbraucher und Politiker tatsächlich erfahren, welche konkreten Alternativen existieren. Ein zentrales Ergebnis des Workshops war, dass weitere Forschungsarbeit nötig ist, um ein Modell für den Umgang mit Akteuren zu entwickeln, das mittels Feedback-Schleifen politische Entscheidungsträger mit allen anderen Akteuren in Kontakt bringt.