Headline: Wie klimafreundlich ist Erdgas? Forscher diskutieren die Auswirkungen diffuser Emissionen

Übertragungspipelines in einer Öl- und Gasaufbereitungsanlage. © istock/zorazhuang
Übertragungspipelines in einer Öl- und Gasaufbereitungsanlage. © istock/zorazhuang

Erdgas spielt in der Debatte um eine CO2-arme Zukunft eine wichtige Rolle. Im Hinblick auf Kohlendioxidemissionen ist diese Sicht gerechtfertigt: Erdgas produziert bei der Verbrennung nur halb so viele Treibhausgase wie Kohle. Allerdings kommt es über die gesamte Erdgas-Wertschöpfungskette gesehen zu Methanleckagen, angefangen bei den Bohrungen und der Förderung über die Gasaufbereitung bis hin zu Transport und Verteilung. Können wir Energieversorgung und Verkehr auf Erdgasbasis noch als klimafreundliche Option ansehen, wenn wir die flüchtigen Emissionen berücksichtigen? Dieser Frage ging am 11. Februar 2016 ein Workshop am IASS nach.

Übertragungspipelines in einer Öl- und Gasaufbereitungsanlage. © istock/zorazhuang
Übertragungspipelines in einer Öl- und Gasaufbereitungsanlage. © istock/zorazhuang

Alexander Gusev vom IASS betonte, dass es große Diskrepanzen zwischen den verfügbaren Daten zu Methanleckagen gibt. In den Vereinigten Staaten mussten die offiziellen Angaben revidiert werden, weil unabhängige Messungen andere Ergebnisse lieferten. Flüchtige Emissionen haben dort in den vergangenen Jahren große Aufmerksamkeit geweckt, während das Thema in Europa, obwohl hier mehrere Arbeitsgruppen und Initiativen existieren, noch weitgehend vernachlässigt wird. Gusev betonte, wegen des Fehlens zuverlässiger Daten sei es schwierig, die Umweltfolgen der Erdgasproduktion zu bewerten.

Emissionen können durch den Einsatz besserer Technologien reduziert werden, aber naturgemäß sind sie auch vom Produktionsvolumen abhängig. Thierry Bros von der französischen Bank Société Générale beleuchtete die Rolle von Erdgas im künftigen europäischen Energiemix. Mit Blick auf eine Prognose der Internationalen Energieagentur (IEA) aus dem Jahr 2011 erklärte er: „Das goldene Zeitalter des Gases ist in Europa nicht angebrochen. Es hat nicht begonnen, und meiner Meinung nach wird es auch nicht kommen.“ Dafür nannte er drei Gründe: Erstens sind die Preise für Erdgas nicht so stark gesunken wie für andere Energierohstoffe. Zweitens sinkt derzeit in europäischen Ländern die Primärenergienachfrage – eine Folge von politischen Maßnahmen im Rahmen des Energie- und Klimaschutzpakets der Europäischen Union. Und drittens wirken sich neben dem strukturellen Rückgang die angespannten Beziehungen zwischen der EU und Russland für Gas ungünstig aus. „Wenn sich der lineare Trend 2006-2015 fortsetzt, wird es 2050 in Europa keine Erdgasnachfrage mehr geben“, erklärte Bros, fügte aber hinzu, dass die sinkende konventionelle Nachfrage durch den Einsatz von Gastreibstoffen im Verkehr kompensiert werden könnte.

Nach Daten, die Alexey Mozgovoy vom Gas- und Wärmeinstitut Essen präsentierte, ist die Zahl der Erdgasfahrzeuge weltweit auf 18 Millionen gestiegen, die meisten entfallen auf den Iran (3,5 Millionen), Pakistan (2,8 Millionen) und Argentinien (2,3 Millionen). Allerdings gibt es in vielen Ländern, darunter Deutschland, zu wenig Tankstellen, die den Treibstoff anbieten. Gasfahrzeuge bieten Mozgovoy zufolge viele wirtschaftliche, soziale und ökologische Vorteile, aber wir müssen noch den Wirkungsgrad der Motoren verbessern und den Methanverlust reduzieren. Markus Klingbeil von der IEA sagte, die Technologien zur Verminderung von Methanemissionen stünden zur Verfügung, es müsse aber gehandelt werden, um dafür zu sorgen, dass die Emissionen bald ihren Höhepunkt erreichen und danach rasch absinken. Er hob auch hervor, solange neue, umfassende Daten fehlten, sollte sich die internationale Gemeinschaft darauf konzentrieren, für politische Empfehlungen die besten Verfahrensweisen zu umreißen.

Weil eine gemeinsame zuverlässige Methodik zur Ermittlung von Methanleckagen fehlt, ist es schwierig, konkrete Schritte zur Minderung der Emissionen zu unternehmen. Gert Müller-Syring, Forscher am Deutschen Brennstoffinstitut (DBI) und der European Gas Research Group (GERG), stellte fest, dass die enorme Vielfalt der jeweils national verwendeten Methoden eine konsequente und transparente Datenmeldung in Europa unmöglich macht. Die vorhandenen Methoden sind unterschiedlich komplex, was insbesondere durch die Detailtiefe der verwendeten Aktivitätsdaten und Emissionsfaktoren (Standard- oder landesspezifische Faktoren) bedingt ist. Jeder Ansatz kann seine Vor- und Nachteile haben, und jeder kommt bei der Abwägung von Genauigkeit und Kosten/Aufwand zu einem anderen Ergebnis. Ein GERG-Projekt versucht, die unterschiedlichen Ansätze präzise einzuschätzen und mögliche Kombinationen zu prüfen, wobei das Ziel verfolgt wird, eine gemeinsame europäische Methodik zu entwerfen.

Das Problem der Methanemissionen im Allgemeinen und der Methanleckagen im Besonderen steht seit langem auf der Agenda des größten russischen Erdgasproduzenten Gazprom, wie Grigori Julkin vom Gazprom Labor für Umweltschutz und Ressourcenschonung ausführt. Die ersten Gemeinschaftsprojekte zur Einschätzung von Methanleckagen wurden in Russland 1997 gestartet, und seither wurde die Zusammenarbeit mit verschiedenen internationalen Partnern aufgenommen, darunter das Wuppertal Institut, die US-amerikanische EPA und die japanische Sojitz Corporation.

Gazprom zufolge belaufen sich die Leckage-Raten im Erdgassystem in Russland auf 0,1 Prozent des Produktionsvolumens. Allerdings gibt es Diskrepanzen zu anderen Einschätzungen wie dem russischen Bericht an den UNFCCC, in dem die Leckage-Raten erheblich höher sind. Insgesamt ist das Potenzial zur Verminderung der Methanemissionen in Russland enorm, bedenkt man den Umfang der Jahresproduktion und das ausgedehnte Pipelinenetz. Wie Meredydd Evans vom Pacific Northwest Laboratory in den Vereinigten Staaten ausführte, gehört Russland zu den wenigen Ländern, in denen Gesetzesvorhaben direkt auf Methanemissionen abzielen. Umweltbußgelder, Energiesparziele für den öffentlichen Sektor und Vorschriften zur Verwendung der besten verfügbaren Technologien sind nur einige der direkten Maßnahmen, die in Russland eingeführt werden sollten. Dennoch existieren weiterhin Barrieren, die der Methanreduzierung im Wege stehen. Die wichtigsten sind der niedrige Preis für heimisches Erdgas, Steuern, Marktzugang und die Furcht vor zusätzlichen Vorschriften.

Alle Workshopteilnehmer waren sich einig, dass die Frage der Methanreduzierung ein wichtiges Thema ist, das weitere Untersuchungen rechtfertigt und in jedem Land auf der Agenda bleiben sollte. Wirksame Maßnahmen zur Reduzierung von Methanemissionen könnten dazu beitragen, den Klimawandel kurzfristig zu bremsen. Umgekehrt kann die Vernachlässigung von Methanleckagen in Erdöl- und Erdgassystemen erhebliche negative Folgen für das Klima haben, weil Methan, vor allem kurzfristig, ein sehr viel potenteres Treibhausgas ist als Kohlendioxid (84mal höheres Treibhauspotenzial als CO2 über einen Zeithorizont von 20 Jahren). Die Teilnehmer unterstrichen daher, dass die weitere internationale Zusammenarbeit zu diesem Problem, vor allem hinsichtlich Datenaustausch und der Entwicklung einer gemeinsamen Methodik im Energie- und Erdgassektor, entscheidende Bedeutung hat.

Die IASS-Forschungsgruppe „Die Zukunft von Erdgas in der Energiewende“ wird die Zusammenarbeit mit den Workshop-Partnern intensivieren und die derzeitige Plattform ausbauen, um dieses Thema gründlicher zu untersuchen. In Zukunft wird sich die Gruppe darauf konzentrieren, die Qualität der Daten zu Emissionsraten und –aktivitäten in Ländern wie Deutschland und Russland zu verbessern, Wissenslücken aufzudecken und verschiedene politische Maßnahmen im europäischen Kontext zu analysieren. Gemeinsame Anstrengungen, die darauf zielen, Methanemissionen entlang der Erdgas-Versorgungskette zu bekämpfen, könnten helfen, die Ungewissheiten auszuräumen, und damit einen Betrag zur Debatte um die Zukunft von Erdgas leisten, wobei der Schwerpunkt auf dem Prozess der deutschen Energiewende liegt. Weitere Einblicke in diesen neuen IASS-Forschungsbereich werden demnächst publiziert.