Headline: Strom umsonst? Negative Strompreise und ihre Auswirkungen

Am Sonntag, den 16. Juni 2013, bekam man Strom am deutschen Strommarkt quasi geschenkt: Er ging für durchschnittlich -3,33 Euro pro Megawattstunde über den Tisch. Doch was bedeuten negative Strompreise eigentlich? Negative Preise bedeuten, dass Stromproduzenten diesen Betrag zahlen müssen, wenn sie ihren Strom verkaufen und Käufer zusätzlich zum Strom auch noch bares Geld erhalten. Ursache dafür ist ein Überangebot an elektrischer Energie, die gleichzeitig auf eine geringe Nachfrage trifft.

Wichtig zu wissen ist, dass Strom in Deutschland in Stundenprodukten gehandelt wird. Der Preisverlauf von Sonntag ist im Diagramm dargestellt und zeigt einen untypischen Verlauf: Preise um die 0,00 Euro am Morgen, dann ein starkes Absinken am Nachmittag und erst in den Abendstunden positive Strompreise. Die stark negativen Preise am Nachmittag von unter -100,00 Euro pro Megawattstunde ziehen den durchschnittlichen Strompreis für den Tag auf -3,33 Euro pro Megawattstunde. Typisch wäre eine Preiskurve, die über den Tag leicht ansteigt und am Abend wieder absinkt entsprechend der Verbrauchskurve.

Welche Auswirkungen das hat, erklärt Dr. Kathrin Goldammer, Leiterin der Plattform Energiewende am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS). Als ehemalige Stromhändlerin und Kraftwerksmanagerin verfolgt sie die Entwicklung der Strompreise sehr genau. Für sie ist klar: "Sehr niedrige oder sogar negative Marktpreise für Strom sind nicht neu, aber an einem Nachmittag durchaus ungewöhnlich. Strompreise entstehen auf der Basis von Angebot und Nachfrage. Wenn in Momenten mit niedrigem Verbrauch wie dem Sonntag ein hohes Angebot von Solarstrom und Wind im System ist, so können sich negative Preise ergeben. Bisher hatten wir das in Deutschland tendenziell nur in Nachtstunden. Für die Anbieter konventioneller Kraftwerke, z.B. Steinkohle oder Kernenergie, können diese negativen Preise übrigens betriebswirtschaftlich sinnvoll sein. Es ist für sie besser, ihre Anlagen durchlaufen zu lassen, als sie abzuschalten und dann am Montag aufwändig wieder ans Netz zu nehmen."

Wer es als Stromerzeuger vermeiden möchte, bei negativen Preisen mehr zahlen zu müssen, sollte seine Erzeugung so flexibel halten, dass sie abschaltbar wird. Preiskonstellationen wie am Wochenende auf Basis einer hohen Verfügbarkeit von Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien wirken also als Anreiz für Investitionen in die Flexibilisierung konventioneller Kraftwerke. Eine Maßnahme, die bei der Weiterentwicklung des Energiesystems im Rahmen der Energiewende notwendig ist.

Aber auch die Erzeuger von Erneuerbaren Energien produzieren nicht bei jeder Preisentwicklung am Markt. Gerade Direktvermarkter, die grünen Strom an den Strommarkt bringen und sich per Marktprämie den Preis bis auf Höhe der Einspeisevergütung aufstocken lassen, haben einen Anreiz, bei sehr stark negativen Preisen ihre Mengen aus dem Netz zu nehmen, da sie sonst draufzahlen. Grundlage sind allerdings sehr außergewöhnliche Konstellationen wie eine sehr hohe Verfügbarkeit von Solarstrom und Windstrom bei gleichzeitig extrem niedrigem Bedarf an Strom. So eine Konstellation ist nun am Sonntag zum ersten Mal so deutlich aufgetreten.

Prof. Klaus Töpfer, Exekutivdirektor des IASS in Potsdam, leitet daraus Handlungsbedarf ab: "Solche Preiskonstellationen sind neu und werden sich zukünftig häufiger am Strommarkt einstellen. Sie zeigen zum einen, wie effektiv das EEG in den letzten Jahren den Ausbau der Erneuerbaren Energien vorangetrieben hat. Sie sind zum anderen aber auch ein Hinweis auf die enorme Herausforderung, die grenzkostenfreie Stromerzeugung der Erneuerbaren in einem immer stärkeren Maße in den Markt zu integrieren. Damit diese erwünschte Entwicklung weiter geführt werden kann, werden wir Lösungen dafür erarbeiten, ein solides, zukunftsfähiges Förder- und Marktsystem für die Erneuerbaren Energien entwickeln und sukzessive umsetzen."

Die Plattform Energiewende arbeitet an einem Marktsystem, das sowohl die Marktintegration als auch die sozialverträgliche Förderung der Erneuerbaren Energien vorantreibt. Es geht dabei um eine EEG-Reform, die keine Bremse für den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland darstellt und die gesamtwirtschaftlichen Effekte gerecht verteilt.

Anlass zu akuter Panik sind die Preise am Sonntag auf jeden Fall nicht. Dr. Kathrin Goldammer hat sich in der Energiebranche umgehört: "Die Konstellation am Sonntag war durchaus etwas Besonderes. Wir sind ein europäisch gekoppeltes System, und in den vergangenen Tagen war auch die Verfügbarkeit von Strommengen in Frankreich ungewöhnlich hoch. Dort lag der Durchschnittspreis am selben Tag sogar bei satten negativen 40,99 Euro pro Megawattstunde. Durch die technische Vernetzung unserer Systeme an der Grenze drängen diese preiswerten Strommengen dann auch auf den deutschen Markt und verringern unseren Preis noch weiter."

Und der private Verbraucher? Kurzfristige Preisschwankungen haben keine Auswirkungen auf den Endkundenstrompreis. Privatkunden zahlen Strompreise, die nur zu weniger als einem Fünftel vom Preis am Großhandelsmarkt bestimmt sind. Den Rest des Preises machen Netzentgelte, Steuern und Umlagen aus. Langfristig sind allerdings spürbare Effekte möglich: Sinkt der Preis kontinuierlich und nachhaltig am Markt, so verringert sich der Einkaufspreis des Versorgers. Allerdings sind in den letzten Jahren die anderen Preisanteile in einem Maße gestiegen, dass diese Entwicklungen in den Hintergrund treten. Industrielle Großverbraucher wiederum, die von einem Großteil der Steuern und Abgaben befreit sind, sind in ihrem Strombezug direkter von schwankenden Marktpreisen betroffen. Für sie geben negative Preise insofern Anreize zur Flexibilisierung. Verschieben sie ihre Verbräuche auf Stunden niedriger oder negativer Preise, so verbessern sie ihre Stromeinkaufspreise. Negative Strompreise wirken daher sowohl auf der Angebots- als auch der Nachfrageseite als Motoren für Veränderungen im Energiesystem.