Headline: Wichtiges Thema oder Luxusdebatte? Das Wirtschaftswachstum und die Journalisten

Buchpräsentation

Eine Wirtschaftsberichterstattung ohne die Zahlen der Wirtschaftsforscher? Das ist heute kaum mehr vorstellbar. Viele Journalisten präsentieren das Bruttoinlandsprodukt ganz selbstverständlich als Messgröße unseres Wohlstands. Daher sei ein kritischerer Wirtschaftsjournalismus nötig, der sich von der Standard-Ökonomie distanziert, schreibt der WirtschaftsWoche-Redakteur Ferdinand Knauß in seinem Buch „Wachstum über alles? Wie der Journalismus zum Sprachrohr der Ökonomen wurde“. Er verfasste es als Fellow am IASS. Über seine Thesen diskutierte er am 21. September mit Rainer Hank, Leiter der Wirtschafts- und Finanzredaktion der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, und IASS-Direktor Ortwin Renn.

 

Machen sich die Journalisten zum Sprachrohr der Ökonomen? Darüber diskutierten Rainer Hank, Ferdinand Knauß, Ortwin Renn und Moderator Manuel Rivera (v.l.n.r.). © Richard Häussler/stratum lounge
Machen sich die Journalisten zum Sprachrohr der Ökonomen? Darüber diskutierten Rainer Hank, Ferdinand Knauß, Ortwin Renn und Moderator Manuel Rivera (v.l.n.r.). © Richard Häussler/stratum lounge

 

Journalismus als „Resonanzraum der vorherrschenden Ansicht“

Knauß skizzierte zu Beginn der Buchpräsentation die Entstehung des „Wachstumsparadigmas“ in den 50er Jahren und seine Entwicklung bis in die Gegenwart. Immer wieder habe es Angriffe auf das Wachstum als Leitbegriff gegeben. Der einflussreichste davon sei die Studie „Die Grenzen des Wachstums“ gewesen, die der Club of Rome 1972 veröffentlichte. Jedoch hatte diese Kritik laut Knauß keine durchschlagende Wirkung. Der Journalismus sei über die Jahrzehnte hinweg ein „Resonanzraum der vorherrschenden Ansicht“ gewesen, sagte er.

Lösungswege, die der Wirtschaftsredakteur in seinem Buch aufzeigt, sind ein stärkeres Geschichtsbewusstsein und die Integration fachfremder Perspektiven im Journalismus, aber auch in der Wirtschaftswissenschaft selbst: „Die Rückbesinnung auf die eigenen akademischen Wurzeln – Adam Smith war bekanntlich Professor für Philosophie – ist, so denke ich, eine der großen Herausforderungen, der sich eine erneuerungsbedürftige Wirtschaftswissenschaft stellen muss.“ Die Zeitungen sollten eine größere Durchlässigkeit der Ressortgrenzen zwischen Feuilleton und Wirtschaft schaffen.

Rainer Hank: Wachstumskritische Diskussion ist eine „Luxusdebatte“

Eine entgegengesetzte Position sowohl in Bezug auf die Bedeutung des Wachstums für die Menschen als auch auf die Leistung der Wirtschaftsredakteure vertrat Rainer Hank. „Bis zum Jahr 1820 war Wachstum ein Privileg der reichen Eliten, seitdem ist es im Vergleich eine Fortschrittsgeschichte für den Wohlstand der Menschen, und zwar in der Breite“, sagte der Frankfurter Journalist. Mittlerweile sei der Wohlstand in den Industriestaaten allerdings so groß, dass der Grenznutzen abgenommen habe. Nur deshalb könnten wir es uns leisten, über die Kehrseite des Wachstums zu reden: „Das ist eine Luxusdebatte, die wir führen.“ Den Eindruck, dass in den Medien das Wachstumsparadigma gefeiert werde, teile er im Übrigen nicht. Schon seit Anfang der 70er Jahre, der Zeit der Ölkrise, als die Preise stiegen und das Wachstum stagnierte, gebe es eine hohe Anzahl von Wachstumsskeptikern unter den Journalisten.

Ortwin Renn fand in Knauß‘ Buch die Beobachtung gut herausgearbeitet, wie sehr das Wachstum den öffentlichen Diskurs über die wirtschaftliche Entwicklung dominiert hat, auch im Vergleich zu den anderen drei großen volkswirtschaftlichen Zielen der Stabilität des Preisniveaus, der Vollbeschäftigung und des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts. Kritiker des Wachstumsparadigmas sollten sich jedoch stärker damit auseinandersetzen, wofür der Begriff steht, sagte Renn: „Mit der Messung des Wachstums über das Bruttosozialprodukt bewerten wir auch solche Aktivitäten positiv, die in Bezug auf den Ressourcenverbrauch, auf ihre Verteilungswirkung und auf ihre externen Kosten für andere die Volkswirtschaft belasten und das Wohlstandsniveau reduzieren.“ Die Aufgabe müsse daher sein, einen komplexeren Indikator als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu entwickeln, der diese Nebenwirkungen aufnimmt. Auf dessen Grundlage könnten dann neue Steuerungsinstrumente entstehen, die das Wachstum in Richtung auf eine nachhaltige Entwicklung lenken können.

Wirtschaftswachstum – ein unpassender Begriff?

Wie schwierig der Wachstumsbegriff ist, wurde auch in der anschließenden Diskussion mit dem Publikum deutlich, die sich stärker um grundsätzliche Fragen als um die Rolle des Journalismus drehte. Ist es überhaupt sinnvoll, Wirtschaftswachstum pauschal gutzuheißen oder zu verdammen? Inwieweit kann der Staat das Wirtschaftswachstum nicht nur insgesamt fördern, sondern auch in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung steuern? Haben auch zivilgesellschaftliche Initiativen einen Einfluss? Ferdinand Knauß zitierte abschließend die Aussage des Politikers Kurt Biedenkopf, der ökonomische Wachstumsbegriff sei eine „Perversion des ökologischen“, denn in der Natur gebe es stets ein Gleichgewicht von Werden und Vergehen. „Im Grunde ist der Begriff ‚Wirtschaftswachstum' falsch, stattdessen sollten wir von BIP-Zunahme reden“, sagte Knauß. Eine Abkehr von der Wachstumsmetapher, die aufgrund ihres häufigen Gebrauchs schon gar nicht mehr als solche wahrgenommen werde, könne die Debatte versachlichen.