Headline: Mehr Kooperation, eigener Stromvertrieb: Bürgerwindparks reagieren auf veränderte Rahmenbedingungen

Anflug auf Kopenhagen: Dänemark ist mit über 40 Prozent Windstrom-Anteil in der Stromproduktion der weltweite Vorreiter. © istock/t-lorien
Anflug auf Kopenhagen: Dänemark ist mit über 40 Prozent Windstrom-Anteil in der Stromproduktion der weltweite Vorreiter. © istock/t-lorien

Bürgergesellschaften, die Windenergieprojekte umsetzen, müssen europaweit neue Wege gehen, um auf ein sich veränderndes Umfeld - geprägt zum Beispiel durch modifizierte Förderinstrumente und sinkende politische Unterstützung für kleine und lokale Windparkbetreiber - zu reagieren. Das ist das Ergebnis einer Studie, die jetzt in der Zeitschrift „Energy Research & Social Science“ veröffentlicht wird. Sie vergleicht die Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen in Deutschland, Dänemark, Belgien und Großbritannien sowie die Reaktionen der Bürgerwindgesellschaften darauf. Die Ergebnisse machen deutlich, dass die Bürgerwindgesellschaften sich zunehmend vernetzen und in neuen Geschäftsfeldern wie dem Stromvertrieb kooperieren.

Anflug auf Kopenhagen - Dänemark ist mit über 40 Prozent Windstrom-Anteil in der Stromproduktion der weltweite Vorreiter. © istock/t-lorien
Anflug auf Kopenhagen - Dänemark ist mit über 40 Prozent Windstrom-Anteil in der Stromproduktion der weltweite Vorreiter. © istock/t-lorien

Bürgerbeteiligung ist wichtig für die Energiewende

Traditionell begünstigt das System der Stromversorgung große Konzerne. Die Regierungen der vier untersuchten Länder haben in unterschiedlichem Ausmaß Anstrengungen unternommen, Bürgerenergiegesellschaften zu fördern. Dänemark ist mit über 40 Prozent Windstrom-Anteil in der Stromproduktion der weltweite Vorreiter. Bürgerenergiegesellschaften haben den Ausbau der Windkraft maßgeblich vorangetrieben und zeitweise knapp 80 Prozent aller Windräder betrieben. Dabei profitierten sie von stabilen Einspeisevergütungen und anderen Verordnungen. In Deutschland entwickelten sich Bürger dank der im Erneuerbare-Energien-Gesetz verankerten sicheren Investitionsbedingungen ebenso zum größten Treiber der Windkraft. Das bürgerschaftliche Engagement im Windsektor ist in diesen beiden Ländern deutlich höher als in Belgien und Großbritannien, deren Fördersysteme kleinen und neuen Akteuren wenig Chancen gegeben haben.

In 40 Experten-Interviews stellten die Forscher fest, dass es trotz der unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den vier Ländern auch gemeinsame Entwicklungen gibt. Es sei eine Doppelbewegung zu beobachten, sagt Ko-Autor und Energieexperte Boris Gotchev, Projektwissenschaftler am IASS: „Einerseits gibt es ein zunehmend ungünstiges Umfeld für Bürgerwindgesellschaften. So wurden zum Beispiel in Deutschland und Dänemark Windenergieproduzenten mit Reformen der Fördersysteme und Planungsregularien höheren Vermarktungsrisiken und einem stärkeren Wettbewerb um die Nutzung von Flächen ausgesetzt. Das benachteiligt in vielen Fällen Bürgergesellschaften gegenüber den großen Stromkonzernen und professionellen Projektierungsunternehmen, da Bürgergesellschaften durch demokratische Entscheidungsfindungen langsamer agieren und weniger ‚Startkapital‘ haben. Andererseits reagieren die Bürgergesellschaften darauf mit neuen Strategien wie der Gründung von gemeinsamen Interessensverbänden, Netzwerken und Stromvertriebsunternehmen.“

Mit gebündelten Ressourcen zu mehr Einfluss

In Deutschland, Dänemark und Belgien gibt es bereits einige von Bürgergesellschaften gemeinsam initiierte Unternehmen, die Ressourcen ihrer Mitglieder und vieler „Bürgerkraftwerke“ bündeln. Diese sind eine Möglichkeit, sich von staatlichen Förderungen unabhängiger zu machen. „Bürgerinitiativen werden nur ein Randphänomen der Energiewende bleiben, wenn sie es nicht schaffen, ihr lokales Wissen auf höheren Ebenen einzubringen und ihre Interessen in landesweite und grenzüberschreitende Strategien zu überführen, indem sie untereinander Netzwerke und Koalitionen bilden“, erklärt Leitautor Thomas Bauwens von der Universität Liège.

Für das Gelingen der Energiewende sei die Beteiligung von Bürgern von immenser Bedeutung, betont Boris Gotchev. Denn das Mitmachen und Mitentscheiden sei zentral für das Erreichen der Ausbauziele und fördere die gesellschaftliche Akzeptanz für die Transformation des Energiesystems.

Bauwens, T., Gotchev, B., Holstenkamp, L. What drives the development of community energy in Europe? The case of wind power cooperatives. Energy Research & Social Science 12. http://dx.doi.org/10.1016/j.erss.2015.12.016