Headline: „Die letzte Allmende der Menschheit“: Auf Kurs zu einem Abkommen für die Hohe See

Sebastian Unger, Klaus Töpfer (beide IASS) und Pascal Hector (Auswärtiges Amt) diskutierten über den deutschen Beitrag zu einem rechtlich verbindlichen Abkommen für einen besseren Schutz der Hohen See. © IASS/Piero Chiussi
Sebastian Unger, Klaus Töpfer (beide IASS) und Pascal Hector (Auswärtiges Amt) diskutierten über den deutschen Beitrag zu einem rechtlich verbindlichen Abkommen für einen besseren Schutz der Hohen See. © IASS/Piero Chiussi

Gemeinsame Veranstaltung von Auswärtigem Amt, IASS und dem Kieler Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“ setzt Auftakt zu Dialog zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und NGOs, um Verhandlungsprozess der UN zum Schutz der Hohen See zu begleiten.

Fast die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen, kommt aus dem Meer. Die Ozeane nehmen mehr als ein Viertel des Kohlendioxids in der Atmosphäre auf und speichern mehr als 90 Prozent der Wärme. Weil sie das Klima und die Wasser- und Nährstoffkreisläufe regulieren, spielen sie eine wichtige Rolle für das Leben auf der Erde. Durch die zunehmenden wirtschaftlichen Aktivitäten wird die biologische Vielfalt der Ozeane bedroht. Vor allem außerhalb nationaler Hoheitsgebiete sind Arten und Lebensräume kaum geschützt. Anfang des Jahres einigten sich deshalb die UN-Mitgliedsstaaten auf den Beginn von Verhandlungen über ein rechtlich verbindliches Abkommen für einen besseren Schutz der Hohen See - jener Meeresgebiete, die außerhalb nationaler Hoheitsgewässer liegen. Diese bedecken fast die Hälfte der Erdoberfläche.

Sebastian Unger, Klaus Töpfer (beide IASS) und Pascal Hector (Auswärtiges Amt) diskutierten über den deutschen Beitrag zu einem rechtlich verbindlichen Abkommen für einen besseren Schutz der Hohen See. © IASS/Piero Chiussi
Sebastian Unger, Klaus Töpfer (beide IASS) und Pascal Hector (Auswärtiges Amt) diskutierten über den deutschen Beitrag zu einem rechtlich verbindlichen Abkommen für einen besseren Schutz der Hohen See. © IASS/Piero Chiussi

Schutz der Hohen See: Welchen Beitrag kann Deutschland leisten?

Welchen Beitrag Deutschland für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt der Hohen See leisten kann, war Thema eines Nationalen Dialogs zur Hohen See, den das Auswärtige Amt und das IASS in Kooperation mit dem Kieler Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“ am 28. September in Berlin veranstalteten. Es war der zweite Dialog in einer Reihe, die den Austausch zwischen Ministerien, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft fördern soll. In Hinblick auf den 2016 beginnenden UN-Verhandlungsprozess ging es vor allem um die bislang offenen Fragen der Ausweisung von Meeresschutzgebieten, der Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen, des Zugangs zu marin-genetischen Ressourcen und des gerechten Vorteilsausgleichs zwischen hoch und weniger entwickelten Ländern bei deren Nutzung, dem Kapazitätsaufbau und dem Technologietransfer.

Seit 2013 erforscht das IASS Möglichkeiten für einen besseren Schutz der Meeresgebiete jenseits nationaler Hoheitsgewalt. Neben der Entwicklung eines neuen Abkommens unter dem Dach des internationalen Seerechtsübereinkommens werden auch Strategien für eine nachhaltige Meeresnutzung im Rahmen von bestehenden regionalen Organisationen oder sektorbezogenen Regelungen, zum Beispiel für die Fischerei oder die Schifffahrt, analysiert und die Ergebnisse für den internationalen Verhandlungsprozess nutzbar gemacht.

Der Beitrag Deutschlands: Genau zuhören und kreative Kompromissvorschläge entwickeln

„Es zeigt die große Bedeutung der Hohen See, dass die UN-Mitgliedsstaaten ihr wichtiges Versprechen, das sie zum Schutz der Ozeane auf dem UN-Nachhaltigkeitsgipfel Rio+20 gegeben haben, nur drei Jahre später einlösen und nun den Prozess für ein neues Durchführungsabkommen einleiten können“, sagte IASS-Exekutivdirektor Klaus Töpfer zur Eröffnung des Workshops. Die Dialog-Reihe mit Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft sei ein wichtiger Beitrag dazu, sich vor den Treffen auf europäischer und internationaler Ebene darüber klar zu werden, welche Kapazitäten und konkreten Vorschläge Deutschland in die internationale Diskussion einbringen kann.

Pascal Hector, Beauftragter des Auswärtigen Amts für Fragen des Völkerrechts, sagte, es sei ein „wichtiger und historischer Durchbruch, dass die Vereinten Nationen ab dem kommenden Jahr im Rahmen eines vorbereitenden Ausschusses über ein neues Durchführungsabkommen zum Seerechtsübereinkommen verhandeln werden“. Allerdings stelle der Mangel an einer „kohärenten Verzahnung“ der verschiedenen Institutionen und Maßnahmen die UN-Mitgliedsstaaten vor große Herausforderungen. Den Beitrag Deutschlands und der EU sieht Hector vor allem darin, allen Seiten genau zuzuhören und kreative Kompromissvorschläge zu entwickeln.

Höchste Zeit zu handeln – trotz Forschungslücken

Die Tiefsee ist nur unzureichend erforscht. Dennoch sei es höchste Zeit für ein internationales Abkommen, sagte Karin Lochte (AWI). © IASS/Piero Chiussi
Die Tiefsee ist nur unzureichend erforscht. Dennoch sei es höchste Zeit für ein internationales Abkommen, sagte Karin Lochte (AWI). © IASS/Piero Chiussi

Nele Matz-Lück, Professorin für Seerecht an der Universität Kiel, bewertete den bisherigen Prozess auf dem Weg zu einem Abkommen für die Hohe See positiv. Sie sei optimistisch, dass das internationale Seerechtsübereinkommen durch ein wirkungsvolles internationales Abkommen zum Schutz der Biodiversität ergänzt werde. Dafür sei eine verstärkte Zusammenarbeit verschiedener Stakeholder notwendig. Der mit der Dialog-Reihe von IASS und Auswärtigem Amt eingeschlagene Weg, Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft für ein Meeresübereinkommen in einen Austausch zu bringen, solle institutionalisiert werden, schlug sie vor.

Karin Lochte, Direktorin des Alfred Wegener Instituts – Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und Vorsitzende der IASS-Mitgliederversammlung, wies darauf hin, dass es in der Ozean-Forschung noch Wissenslücken gebe. Während die Küstenregionen gut erforscht seien, gebe es über einige Aspekte der Tiefsee – etwa die dortige Artenvielfalt – nur „rudimentäres Wissen“: gerade mal 0,0001 Prozent des Tiefseebodens seien erforscht, das entspricht ungefähr der Fläche der Stadt Bonn. Nichtsdestotrotz sei jetzt die Zeit zum Handeln: „Die Ozeane sind die letzte Allmende der Menschheit. Es ist wichtig, dass wir gut damit umgehen und sicherstellen, dass unsere Eingriffe in die Ozeane deren vielfältige ökologische Leistungen nicht schmälern“, sagte Lochte. Die Meeresforschung in Deutschland sei hervorragend aufgestellt und könne daher international eine Rolle beim Schutz der Hohen See spielen.

Fortsetzung des Dialogs zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft geplant

Als zentrale Fragen, die für die Verhandlung eines Abkommens beantwortet werden sollten, identifizierten die Teilnehmer des Workshops:

  • Wie können die Ziele für den Schutz der Biodiversität auf der Hohen See erreicht werden, zum Beispiel über die Ausweisung von Meeresschutzgebieten?
  • Wie kann der Ausgleich für die Nutzung marin-genetischer Ressourcen, also das „Benefit-Sharing“ zwischen weniger entwickelten und hochentwickelten Ländern, gestaltet werden?
  • Wie kann die Umsetzung zukünftiger Regelungen auf der Hohen See überwacht werden und wer ist dafür zuständig?
  • Wie soll der zukünftige Rahmen zur internationalen Zusammenarbeit zum Schutz der Hohen See aussehen und wie können bestehende regionale und sektorbezogene sowie mögliche neue rechtliche Instrumente am besten zusammenwirken?
  • Welche Rolle spielt die Wissenschaft und sollte es eine Art wissenschaftlichen Beirat geben, der über die Nutzung mitentscheidet?

Als wichtiges Ergebnis der Veranstaltung wurde zum Abschluss festgehalten, dass der vom IASS und dem Auswärtigen Amt initiierte Dialog zur Begleitung des UN-Verhandlungsprozesses fortgesetzt werden soll, um die Stimmen von Wissenschaft, NGOs und Wirtschaft gemeinsam in die deutsche Positionierung einzubringen.

30.09.2015